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Junia - Wikipedia

Ein kurzer Blick in die Geschichte:Junia – die verschwiegene Apostelin

Von:
Andrea Osten-Hoschek

Der Apostel Paulus schrieb ca. 55 n. Chr. den Brief an die Römer. In diesem Brief erläuterte er seine Theologie und legte seine Antworten auf die Glaubensfragen der Zeit nieder. Zum Abschluss des Briefes fügte er eine außergewöhnlich lange Grußliste bei. In dieser Liste zählte er all diejenigen Personen in Rom auf, die er kannte und die zudem Ansehen in der römischen Gemeinde hatten. Er belässt es aber nicht bei der reinen Namensnennung. Jeder Name ist verbunden sowohl mit Charakterzuschreibungen als auch mit Funktionen, die die Erwähnten in Rom oder anderen Gemeinden des Urchristentums innehatten. So lesen wir in Kapitel 16 Vers 7 „Grüßt Andronikus und Junia, die zu meinem Volk gehören und mit mir zusammen im Gefängnis waren; sie ragen heraus unter den Aposteln und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt.“ 

Junia, eine Frau als Apostelin?

Paulus verwendet in seinen Schreiben einen breiten Apostelbegriff. Unter Apostel verstand man in der Zeit des Urchristentums diejenigen, die entweder von einer Gemeinde (vgl. 2 Kor 8,23) oder von dem Auferstandenen selbst (vgl. 1 Kor 9,1; 15,7) ausgesandt wurden. Vor diesem Hintergrund konnte Paulus in aller Selbstverständlichkeit Andronikus und Junia als Apostel bezeichnen. An den Stellen, an denen Paulus von „den 12 spricht“ bezieht er sich auf den 12er Kreis der Apostel. 

Wir erfahren noch mehr über die Geschichte der beiden: Andronikus und Junia bekannten sich schon vor Paulus zum Christentum und waren wegen ihrer Glaubensüberzeugungen Gefahren und Repressalien ausgesetzt. Alleine die Tatsache, dass sie in der Grußliste erwähnt werden, lässt darauf schließen, dass sie am Aufbau und in der Leitung der ersten christlichen Gemeinden aktiv waren und somit einen wertvollen Beitrag zur Verbreitung des Evangeliums geleistet haben.

Wie aus der Frau Junia ein Mann namens Junias wurde

Die Tatsache, dass Junia eine Frau und als Apostelin von Paulus hervorgehoben wurde, war bis ins 13. Jahrhundert hinein unbestritten. Erst der Augustinermönch Aegidius von Rom (1245-1316) verwendete in seiner Übersetzung der betreffenden Stelle die männliche Bezeichnung Junias. Er ging in seiner Wahrnehmung davon aus, dass die Bezeichnung der Junia schlichtweg ein Fehler gewesen sei, da nach mittelalterlicher Vorstellung nur ein Mann ein Apostel sein konnte. Diese Lesart wurde bis in die Neuzeit hinein nicht angezweifelt. So übernahm noch Luther diese Deutung und damit erhielt die männliche Form Einzug in die deutschen Bibelübersetzungen. Erst im Jahre 1914 stellt der Dominikaner Marie-Joseph Lagrange in seinem Römerbrief-Kommentar diese Lesart in Frage. Er bezog sich in seiner Auslegung auf die Kirchenväter, die durchweg immer die weibliche Form verwendet hatten. Bei dem Kirchenvater Johannes Chrysostomos (+407) findet sich folgendes Zitat: „Ein Apostel zu sein ist etwas Großes. Aber berühmt unter den Aposteln – bedenke, welch großes Lob das ist. Wie groß muss die Weisheit dieser Frau gewesen sein, dass sie für den Titel Apostel würdig befunden wurde.“ Seine Arbeiten führten jedoch nicht dazu, dass die Junia-Interpretation in die textkritischen Ausgaben des Neuen Testamentes übernommen wurde. Erst mit den exegetischen Arbeiten von Bernadette Brooten im Jahre 1977 verändert sich die Sichtweise. Die Ergebnisse ihrer Arbeiten wurden in der Forschung rezipiert, so dass in die Neuauflage der textkritischen Ausgabe des Neuen Testamentes aus dem Jahre 1998 wieder Junia zu lesen ist. Schlägt man heute die Neuauflage der Einheitsübersetzung auf, so findet man auch dort wieder die Apostelin Junia.

Literatur:

Johannes Chrysostomus, In epistula ad Romanos commentarius Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer, in: Bibliothek der Kirchenväter.  (http://www.unifr.ch/bkv/)

Sabine Bieberstein; Dorothea Egger; Sabine Kutzelmann, Werkstattbibel. Prophetinnen, Apostelinnen, Diakoninnen – Frauen in den paulinischen Gemeinden, Katholisches Bibelwerk Stuttgart 2003.